Alles friedvoll oder was? – Der Zusammenhang zwischen Bedürfnisorientierung, Bindungsorientierung und friedvoller Elternschaft – und (K)eine Anleitung zum friedvollen Leben mit Baby

Bedürfnisorientierung, Bindungsorientierung, friedvolle Elternschaft - alles synonym?

Bindungsorientierung, Bedürfnisorientierung, friedvolle Elternschaft – ist das nicht alles irgendwie dasselbe? Der Versuch einer Annäherung in Dialogform:

Friedvolle Elternschaft mit Baby?

„Sag mal, Martina, was bedeutet das eigentlich mit der „friedvollen Elternschaft“ und wie mach ich das?“

Ich glaub du „machst“ das schon!

Wie jetzt? Also grad fühl ich mich nicht besonders friedvoll. 24 Stunden Dauerdienst am Baby. Und dann die ganzen Supermütter, die stressen mich total. Was die alles mit ihren Babys machen. Und ich mein jetzt nicht die ganzen Kurse. Neulich kam eine an und hat ihr Baby in eine mitgebrachte Schüssel pullern lassen! Weil sie auch auf die Ausscheidungsbedürfnisse ihres Babys achtet. Was soll ich denn bitte noch alles machen? Ich bin jetzt schon am Limit! Wenn das friedvolle Elternschaft sein soll, dann will ich lieber nicht friedvoll sein.

Das Spannende ist, dass sowohl DU als auch die Mutter, die ihr Baby abhält, vermutlich friedvolle Elternschaft leben.

Hä? Die macht das doch ganz anders als ich!

Und trotzdem habt ihr beide die Bedürfnisse eurer Babys im Blick und sorgt dafür, dass eure Kinder eine sichere Bindung entwickeln.

Echt? Ich komm da nicht mehr mit: bindungsorientiert, bedürfnisorientiert, friedvoll – wo ist denn da nun der Unterschied?

Na dann lass uns das mal aufdröseln:

Bindung ist das emotionale Gummiband zwischen Baby und Bezugsperson
Bindung ist das emotionale Gummiband zwischen Baby und Bezugsperson

Bindungsorientierung

Hmm, wo fange ich an. Ich glaube bei der Bindung. Bindung ist quasi das „emotionale Gummiband“ zwischen einem Baby und den engsten Bezugspersonen. Das meint häufig die Eltern bzw. die Mutter, das kann aber grundsätzlich jede Person sein, die das Baby versorgt und eine emotionale Verbindung zum Kind aufbaut. Dieses Bindungsband wird ständig bearbeitet – es wird dichter geflochten, kann aber auch mal strapaziert werden.

Je nachdem, wie sich die Bezugspersonen um das Baby gekümmert haben, ist das Bindungsband besonders stabil und sicher oder eher löchrig und unsicher.

Und warum ist dieses Bindungs-Gedöns so wichtig?

Die Art der Bindung zu den Bezugspersonen ist entscheidend dafür, ob dein Kind ein gutes Selbstvertrauen entwickelt und später stabile Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen kann. Nur das, was wir selber erlebt haben, können wir später an andere weitergeben. Denk mal an deinen Ex. Der war doch total unberechenbar.

Puh, erinnere mich bloß nicht daran. Erst hat er mich vergöttert, rote Rosen, das volle Programm und dann aus heiterem Himmel hat er mich voll runter gemacht. Und als ich mich dann trennen wollte, hat er geheult wie ein Schlosshund und hat mich angefleht, ihn nicht zu verlassen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass er in der Kindheit eine unsichere Bindung entwickelt hat.

Hmm, ok…, krass! Und das habe ich in der Hand, ob mein Kind zum Beziehungs-Psycho wird?!

Zum großen Teil ja – natürlich nicht allein, dein Kind hat ja auch noch andere Bezugs- und Bindungspersonen.

Und dann muss das Baby die ganze Zeit an mir drankleben, damit es sicher gebunden ist?

Für den Bindungsaufbau ist körperliche Nähe ein wichtiger Faktor. Nähe schaffst du auch durch Stillen und das Schlafen im Beistellbett oder Familienbett. Das Tragen am Körper mit einem Tragetuch oder Tragerucksack kannst du zusätzlich machen. Aber wenn dein Baby es im Kinderwagen aushält, ist das auch ok. Körperliche Nähe ist nur ein Baustein für den Bindungsaufbau.

Bedürfnisorientierung zur Stärkung der Bindung

Was denn noch?

Es ist wichtig, zügig und zuverlässig die Bedürfnisse deines Babys zu erfüllen. Nähe hilft dabei – wobei Nähe auch das Sicherheitsbedürfnis deines Babys erfüllt. Wenn du dein Baby nah an dir dran hast, kannst du leichter herausfinden, was es gerade von dir will. Jetzt gerade zum Beispiel schleckt dein Baby dein T-Shirt an.

Hehe, ja, stimmt.

Das ist ein Zeichen für Hunger. Wenn du es jetzt bald stillst, braucht es gar nicht erst anfangen zu schreien. Außerdem lernt dein Baby dann, dass jemand da ist, um die Zeichen zu verstehen und direkt zu reagieren. Das bildet das Urvertrauen – das kann man in etwa gleichsetzen mit der sicheren Bindung.

Aber sag mal, ich will gar nicht so furchtbar lange stillen. Aber irgendwie machen mir die anderen Mütter in der Babygruppe immer so ein schlechtes Gewissen. „Stillen ist nunmal das Beste fürs Kind. Ohne Muttermilch wird dein Baby öfter krank, blablabla.

Muttermilch ist das Nahrungsmittel, das die Natur für Menschenbabys vorgesehen hat, das lässt sich nicht abstreiten. Das heißt aber nicht, dass du die Bedürfnisse deines Babys nicht anders stillen kannst. Denn es geht ja vor allem um Nahrung und Nähe – und die kann man auch bereitstellen, wenn man Fläschchen mit Pulvermilch füttert.

Ich kenn da Mütter, die sind regelrecht militant. Da werd ich auch schief angeschaut, wenn ich mein Baby in unserer abgerockten Second-Hand-Trage hinbringe. Die tragen dann ihre superduper Tragetücher, weil das ja so viel besser ist – da kostet eins allein 300€! Und Rückenschmerzen haben sie dann trotzdem, aber irgendwie sind sie stolz drauf, weil das ja zeigt, wie sehr sie ihre Kinder lieben. Sie gehen ja sogar über ihre eigenen Grenzen und opfern sich auf.

Ja, davon brauchst du dich nicht verrückt machen lassen. Es ist halt so wie jedes Mal, wenn irgendwer was Tolles entdeckt hat. Dann wird missioniert. Das, was neu und toll ist, ist auf einmal das einzig Richtige. Und dann wird es dogmatisch und verkehrt sich ins Gegenteil. Und dann geht es auf einmal nur noch um irgendwelche Gegenstände und Methoden und gar nicht mehr um die Bedürfnisse, die man damit stillen will.

Den Eindruck habe ich auch. Es geht nur ums gegenseitige Überbieten.

Und es spielt für das Baby keine Rolle, wie teuer das Tragetuch ist, in dem es eingewickelt ist. Und ob es jetzt in Stoff- oder Wegwerfwindeln gehüllt ist, ist für eine sichere Bindung auch egal. Nix gegen hochwertige Tragetücher und Stoffwindeln, die haben auf jeden Fall ihre Berechtigung. Aber damit zu missionieren und andere deswegen abzuwerten, finde ich nicht hilfreich. Und nicht friedvoll.

Friedvolle Elternschaft – bedürfnisorientiert in alle Richtungen

Genau: friedvoll. Was meint das jetzt?

Friedvoller Elternschaft heißt für mich, dass wir sowohl die Bedürfnisse des Babys als auch unsere eigenen Bedürfnisse (und die der anderen Bezugsperson) so gut es geht unter einen Hut bringen. Und da ist man dabei nicht auf eine bestimmte Methode oder irgendwelche Hilfsmittel festgelegt.

Ok, ich muss also nicht 2,5 Jahre stillen und Tragen bis zum ersten Bandscheibenvorfall? Und das Kinderbett im Schlafzimmer anstelle von Familienbett ist auch ok?

Na klar! Friedvolle Elternschaft mit Baby ist nicht gleichbedeutend mit Familienbett, Langzeitstillen und Tragen im Tragetuch. Das sind alles nur verschiedene Wege, um Bedürfnisse zu erfüllen und Bindung aufzubauen. Selbstaufopferung ist nicht friedvoll, die wandelt sich dann nämlich irgendwann in Wut und Frust. Und dann ist man ganz weit entfernt von dem, wie man eigentlich sein wollte.

Wenn ich mir vorstelle, dass ich zusätzlich zum Stillen und dem ganzen drumherum auch noch jedes Mal gucken würde, wann mein Baby mal muss und es dann abhalte, komme ich ja zu gar nix mehr! Und ich will ja nebenher meine Weiterbildung machen.

Genau, manche Strategien und Herangehensweisen sind zwar toll, aber mit dem eigenen Alltag nicht vereinbar. Da muss man manchmal Kompromisse schließen. Das ist auch so eine Sache: alle Eltern starten von verschiedenen Punkten. Jeder hat eine andere Vorgeschichte. Und jedes Baby ist anders, jede Geburt ist anders. Ich vergleich das gern mit einer Wanderung. Einige starten mit wenig Gepäck am Strand, andere stehen mit nem Rollkoffer voller Ballast vor dem Mt. Everest. Und dann kann die eine Mutter der anderen noch so lange erklären, wie schön doch Flip-Flops sind, wenn Bergstiefel für die andere die bessere Wahl wären.

Schöner Vergleich!

Friedvolle Elternschaft heißt für mich, auf sich selbst und die eigenen Ressourcen zu schauen und dann den Weg zu wählen, den man meistern kann. Und was ich auch super hilfreich fand, ist die Einstellung, die eigenen Ansprüche runterzuschrauben: Es darf auch manchmal alles Scheiße sein, und anstrengend und überfordernd. Du darfst auch manchmal einfach keine Ahnung haben, warum das Baby schreit.

Hmm, irgendwie hatte ich mir das mit der friedvollen Elternschaft anders vorgestellt. So mit ohne Schimpfen und so.

Ja, das ist auch Teil von friedvoller Elternschaft. Stichwort: auf Augenhöhe gehen. Den anderen als gleichwürdig annehmen. Und die Idee dahinter ist, dass wenn ich mit Kindern auf Augenhöhe umgehe, sie das dann später auch mit ihren Mitmenschen machen und man dann insgesamt weniger Frauenhass, Rassismus und andere Diskriminierungen hat. Denn Schimpfen beinhaltet ja die Abwertung des Gegenübers, dann ist man nicht mehr auf Augenhöhe. Und der Frust, der dadurch beim Ausgeschimpften entsteht, entlädt sich bei nächster Gelegenheit gegen Andere, Schwächere oder gegen sich selbst.

Und Schimpfen ist ja Ausdruck eines Gefühls, zum Beispiel Wut oder Enttäuschung, und dahinter verbirgt sich ein Bedürfnis.

Womit wir wieder bei der Bedürfnisorientierung sind!

Die meisten Erwachsenen sind leider nicht besonders gut darin, ihre eigenen Bedürfnisse zu benennen, deshalb ist friedvolle Elternschaft auch ganz viel Selbstreflexion und gar nicht mal so viel: „erlaube deinem Kind Süßigkeiten und Fernsehen so viel es will, und dann ist das friedvoll.“ Aber das sind alles Themen, die für dich und dein Baby gerade noch nicht so relevant sind.

Spannend! In Ordnung. Ich fass das mal für mich zusammen: eine sichere Bindung zwischen Baby und Eltern ist wichtig, damit mein Kind später besser mit anderen Menschen klar kommt. Eine sichere Bindung erreiche ich, wenn ich für mein Baby da bin und seine Bedürfnisse erfülle. Bedürfnisse kann ich aber auf verschiedene Arten und Weisen erfüllen. Und friedvoll ist das Ganze dann, wenn ich selbst dabei nicht zu kurz komme und meine eigenen Bedürfnisse berücksichtige.

Und deswegen meinte ich, dass du schon mit der friedvollen Elternschaft angefangen hast.

Weil ich nicht das „bedürfnisorientierte-Mami-Selbstaufopferungsprogramm“ fahre?

Genau, weil du dich um die Bedürfnisse deines Babys kümmerst und du aber auch überlegst, was dir für DICH sonst noch wichtig ist und wie du das mit den Bedürfnissen deines Babys überein bringst – wie deine Weiterbildung zum Beispiel. Und da gibt es halt nicht nur die eine friedvolle Lösung.


Blogparade „Friedvolle Elternschaft“

Dieser Blogbeitrag ist Teil der Blogparade „Friedvolle Elternschaft“, die von meinen Kolleginnen Birthe und Verena von den Leuchtturmeltern ausgerufen wurde. Schaut mal vorbei und schmökert in den anderen sehr lesenswerten Artikeln!


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