Mein Kind hört nicht auf NEIN - 4 Schritte aus der Nein-Falle

Wie du nerviges Verhalten deines Kindes beendest - ohne Nein und Nicht

Die Situation: Mein Kind hört nicht auf Nein

Neulich erzählte eine Teilnehmerin aus meinem Geschwister-Kurs, dass ihre vierjährige Tochter das wenige Monate alte Baby drangsaliert. Sie versuchte, es zu hauen, zu kneifen oder sich auf das Baby drauf zu setzen. Die entnervten Eltern versuchten das Kind mit Nein und Stopp, mit Ermahnungen und Erklärungen abzuhalten – ohne großen Erfolg.

Vielleicht hast du ähnliche Probleme?

Dein kleines Kind räumt gerne die Regale aus? Es krabbelt stets zielstrebig auf Steckdosen zu? Es wirft genüsslich Essen auf den Boden?

Lies weiter, wenn du wissen willst warum.

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Die Ursache: Warum NEIN und NICHT nicht funktionieren

Nein tut weh

Ein Nein soll wehtun – es ist ein Mini-Schmerz, der dafür sorgen soll, dass wir unerwünschtes Verhalten abstellen.

Ein oft gehörtes Nein frustriert und macht wütend. Es fördert keine Einsicht in das eigene Handeln.

Ein zu oft gehörtes Nein nutzt sich ab, es provoziert ausweichende Reaktionen.

Und manchmal führt ein Nein auch zu paradoxen Situationen:

Nein kann die Handlung verstärken

Ab einem bestimmten Alter begreifen Kinder das Prinzip von Ursache und Wirkung und beginnen damit zu experimentieren.

Wenn ich Essen auf den Boden werfe, sagt Mama: „Nein!“ – wie spannend! Ob das nochmal klappt, wenn ich das wieder probiere? Platsch, Essen auf den Boden – Mama sagt wieder Nein – Faszinierend!

Das Nein wirkt hier als Anreiz für eine Wiederholung.

ABER: Statt einem einfachen „Nein“ nun ganze Sätze mit „Nicht“ zu formulieren ist dabei genauso wenig hilfreich. Warum?

NICHT wird überhört

Nehmen wir an, dein Kind ist noch sehr jung und du sagst: „Nicht den Herd anfassen. Der ist heiß!“ Dann geht das NICHT auf dem Weg vom Ohr zum Hirn einfach verloren und es bleibt ein „Herd… anfassen!“ übrig.

Das ist kein böser Wille, sondern von Sprachwissenschaftlern erforscht und belegt. Kinder filtern zunächst nur Substantive und Verben aus dem Gesagten, das Gedöns der kleineren Wörter kommt Schritt für Schritt ab dem 2. Geburtstag hinzu – dazu gehört dann auch das NICHT.

NICHT und NEIN nehmen unserem Gehirn das Ziel

Selbst wenn dein Kind eigentlich in der Lage ist, das Wort NICHT zu verarbeiten, geht es ihm möglicherweise so wie in dieser Geschichte:

Ein Nein oder Nicht nimmt unserem Gehirn das Ziel

Der Rodel-Baum

Stell dir Kinder an einem Rodelhang vor. Die Kinder erklimmen den Hügel und rodeln auf ihren Schlitten hinunter. Unten steht ein einzelner großer Baum. Und obwohl es nur ein einziger Baum ist und rundherum viel Platz zum auszuweichen, fahren alle Kinder Richtung Baum.

Die Freunde unten rufen: „Nicht gegen den Baum fahren! Fahr NICHT gegen den Baum!“ Und zack, ist der Nächste gegen den Baum gefahren. Nur einige wenige schaffen es, dem Baum auszuweichen – die fahren stattdessen ihre unten wartenden Freunde um.

Woran liegt das?

Unser Gehirn braucht Orientierung und ein klares Ziel.

Das Gehirn der rodelnden Kinder sucht verzweifelt nach einem Orientierungspunkt, den es ansteuern kann. Da weit und breit nur der Baum hervorsticht, fokussiert das Gehirn auf den Baum. Und alles Rufen reduziert sich auf „… Baum …Baum …Baum!“ und zack sind sie dort, wo ihr Gehirn sie hin dirigiert hat.

Und das ist nicht nur bei räumlicher Orientierung so. Es ist nahezu unmöglich etwas NICHT zu tun, ohne zu wissen, was man stattdessen tun sollte!

Die Lösung: 4 Schritte um unliebsames Verhalten deines Kindes zu beenden und umzulenken

In der Geschichte mit den rodelnden Kindern, die auf den einzelnen Baum zusteuerten konntest du sehen, was einigen Kindern gelungen ist – sie konnten sich ein ANDERES Ziel als den Baum suchen und ansteuern – auch wenn die unten stehenden Kinder vermutlich vor Schreck zur Seite springen mussten.

Deine Aufgabe ist es, deinem Kind ein neues Ziel zu geben, auf das es sich konzentrieren kann! So kannst du sein Verhalten sinnvoll umlenken.

Damit du beim Umlenken möglichst schnell Erfolg hast, hier meine 4 Schritte:

Kind hört nicht auf Nein

Schritt 1: Sprich das Gefühl an, nicht den Intellekt

Wenn du direkt eine Ansage machst, dass dein Kind mit dem Stock lieber auf das Sofa als auf zerbrechliche Einrichtungsgegenstände schlagen soll, wird das vermutlich nicht immer sofort klappen. Auch eine Erklärung, dass das kindliche Tun gefährlich ist oder die Nachbarn stört, kommt meist nicht an.

Besser ist es, wenn du zuerst versuchst, dein Kind bei seinen Emotionen abzuholen.

Schau dir dein Kind an! Ist es fröhlich? Hat es Spaß an dem was es tut? Dann steig‘ da ein (auch wenn es schwer fällt). Sag so was wie: „Oh, du hast aber Spaß, auf dem Bett herum zu hüpfen!“ oder „Das gefällt dir, wie laut der Stock auf den Boden kracht!“

Ist dein Kind wütend? Ist ihm langweilig? Sprich es darauf an oder frag nach! „Ärgerst du dich gerade, weil ich einfach ans Telefon gegangen bin, obwohl du gerade mit mir spielen wolltest?“ oder „Ist dir langweilig, weißt du nicht, was du machen sollst?“

Dein Kind wird dich spüren lassen, ob du richtig liegst. Und erst dann solltest du das ansprechen, was das Kind gerade tut und geh den nächsten Schritt:

Schritt 2: Finde heraus, worum es deinem Kind geht

Dein Kind will weiter mit dem Stock auf den Boden klopfen, weil es Freude daran hat? Vielleicht geht es deinem Kind gar nicht darum, mit dem Stock zu schlagen, sondern darum, Geräusche zu erzeugen.

Damit es mit dem Stock aufhört, kannst du deinem Kind zeigen, womit es sonst noch Geräusche erzeugen kann – vielleicht mit einem Löffel sanft gegen eine Tasse klopfen? Oder einen Reißverschluss auf und zu ratschen lassen? So könnt ihr euch von Gegenstand zu Gegenstand hangeln und vielleicht schafft ihr es, ein immer noch etwas leiseres „Instrument“ zu finden?

Dein Kind haut trotzdem weiter mit dem Stock auf den Boden? Dann hilft vielleicht der nächste Schritt:

Trauriges Mädchen hört nicht auf Nein
Wenn Kinder ihre Geschwister ärgern, ist das häufig eine Strategie um das Bedürfnis nach elterlicher Zuwendung zu erfüllen.

Schritt 3: Suche das darunterliegende Bedürfnis

Alle Menschen haben dieselbe Palette an Bedürfnisse – von den einfachen Grundbedürfnissen wie Nahrung, Schlaf und Selbsterhaltung bis zu komplexeren sozialen Bedürfnissen nach Verbindung, Gemeinschaft oder auch Selbstwirksamkeit. (Eine Übersicht von Bedürfnissen findest du hier zum kostenlosen Download.)

Erinnern wir uns an das kleine Mädchen vom Anfang des Artikels, das sein kleines Geschwisterchen drangsalierte. Der Mutter war klar, dass ihre „große“ Tochter stark darunter litt, dass es die Eltern nun mit dem Baby teilen musste. Das Mädchen steckte in der nachgeburtlichen Geschwisterkrise (a.k.a. „Entthronung der Erstgeborenen“). Mit ihren Aktionen suchte sie nach elterlicher Aufmerksamkeit und Zuwendung.

Schritt 4: Betrachte das Verhalten als Strategie

Das Verhalten von Kindern (und auch von Erwachsenen) zielt eigentlich immer darauf ab, Bedürfnisse zu erfüllen. Unsere Handlungen sind Strategien zur Bedürfniserfüllung. Meist gibt es mehrere Strategien um dasselbe Bedürfnis zu erfüllen, aber einige Strategien funktionieren besser als andere.

Um ihr Bedürfnis nach Zuwendung zu erfüllen, unternahm das verzweifelte Mädchen alles, was die Aufmerksamkeit der Eltern erregte. Das Baby zu ärgern, rief eine heftige Reaktion der Eltern hervor – leider eine negative.

In diesem Fall ist es Aufgabe der Eltern, durch mehr exklusive Zeit und positive Zuwendungdas Bedürfnis des Mädchens nach Aufmerksamkeit und Zuneigung zu erfüllen und der destruktiven, kindlichen Strategie zuvor zu kommen.

Zusammenfassung

Wenn du möchtest, dass dein Kind unerwünschtes Verhalten abstellt, solltest du ihm statt nur „Nein“ zu sagen unbedingt eine Alternative anbieten und es auf diese Weise „umlenken“.

Das Umlenken funktioniert am besten, wenn du zuerst auf die Emotionen deines Kindes eingehst, dann herausfindest, worum es deinem Kind bei seinen Aktivitäten geht und gegebenenfalls das darunterliegende, unerfüllte Bedürfnis identifizierst. Anschließend kannst du die unerwünschte bzw. erfolglose Strategie deines Kindes beenden, indem du eine bessere Strategie vorschlägst oder selber etwas dafür tust, dass das Bedürfnis deines Kindes erfüllt wird.

Und hier nochmal ganz kurz:

  1. Denk an den Rodel-Baum – dein Kind braucht ein neues Ziel für sein Verhalten, sonst wird es immer wieder „gegen den Baum fahren“.
  2. Denk an das verzweifelte Mädchen, dass „nur“ Zuwendung von seinen Eltern wollte und deshalb das Baby drangsalierte. Schau hinter die Kulissen: Wie fühlt sich dein Kind? Welches Bedürfnis will es sich mit seinem Verhalten erfüllen? Welche Alternativen kannst du finden?

Buch- und Link-Tipps

Alfie Kohn: Liebe und Eigenständigkeit. Die Kunst bedingunloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung

Nicola Schmidt: Erziehen ohne Schimpfen – Alltagsstrategien für eine artgerechte Erziehung

Martina Hempel

Gründerin von Baby-Wegweiser.de

Ich bin dein Tour-Guide im Abenteuer Elternschaft. Drama, Hype und Panikmache sind mir fremd. Ich analysiere jede Situation, stelle die nötigen Fragen und liefere differenzierte und wohlüberlegte Lösungsansätze für deine Probleme. Mehr über Martina…